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Wie wurde ich zu einem Kämpfer?

  • frankluebben
  • 25. Aug. 2023
  • 8 Min. Lesezeit

Hier erfahrt ihr die Geschichte davon wie ich, im Alter von 33 Jahren, alles vom Anfang an neu starten musste und den Erfolg Schritt für Schritt erlebt habe.


Ich denke, dass ich die Kämpfer Gene von Anfang an immer hatte.



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Am 22.01.2003 bin ich aus meinem tiefen Koma aufgewacht. Meine linke Seite fühlte sich an wie versteinert, ich konnte sie kaum bewegen und das war für mich in dem Moment erschreckend. Dann kamen die Pflegekräften und fingen an die Körperpflege an mir durchzuführen. Die Pflegekräften haben mich im Liegen geduscht.


So Ende Januar 2003, hat meine Familie mich zum ersten Mal aus dem Koma erwacht gesehen und wir haben uns sehr gefreut einander wieder zu sehen. Ich kann den Tag schwierig in Wörtern fassen. Das Sprechen konnte ich noch gar nicht und für die Kommunikation habe ich eine Tafel benutzt und die Buchstaben darauf geschrieben.


Ich war kognitiv sehr wach und fit aber war an bestimmten Stelle nicht nur sehr eingeschränkt, sondern konnte einfach nichts mehr- beispielsweise das Sprechen, selbständiges Essen, Laufen usw. Zum Beispiel, wenn meine Nase gejuckt hat, konnte ich nicht meine Nase kratzen. Ich fühlte mich sehr frustriert und hilflos, aber tief im Inneren und instinktiv wusste ich, dass ich aus dieser Situation mit Kraft raus kommen würde.


Am 01.04.2003 hatte ich meine erste Krankengymnastik Therapie. Da habe ich mit einem Stehbrett gearbeitet. Ich wurde an das Stehbrett angeschnallt und dann mit Hilfe eines Gerätes wurde das Stehbrett hochgefahren, damit ich das Aufstehen erneut lernen konnte. Ich habe im Alter von 33 die ersten Schritte, wie ein 3-jähriges Baby lernen müssen. Das fühlte sich nicht gut an und ich fühlte mich oft nutzlos.



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Irgendwie ging die Reise zur Heilung und meinem neuen Wachstum weiter und ich habe trotz meiner Frustration immer wieder weiter mit den Therapeuten gearbeitet. Ich habe daran hart gearbeitet, um einigermaßen selbst stehen zu können.


Am 01.08.2003 habe ich einen neuen Rollstuhl bekommen. Der Rollstuhl fühlte sich fremd an und ich war unsicher wie ich ihn bedienen sollte. Der Lernprozess mit dem Rollstuhl zu fahren war ein langer Weg, denn meine linke Seite war nicht mobil. Mit intensiver Therapie und meinem starken Willen, selbständig mobil zu sein, hat es denn endlich zum Erfolg geführt, sodass ich mich mit meinem Rollstuhl fortbewegen konnte. Mit dem Rollstuhl und die daraufhin gewonnen Mobilität, habe ich richtig angefangen zu kämpfen und alles zu geben.


Dann am 01.12.2003, habe ich meinen ersten Logopädie Termin gehabt. Ich konnte gar nicht sprechen und nur Buchstaben schreiben und das ging so bis April 2004.


Ab April 2004 kam langsam der Buchstabe 'A' aus mir. Das war ein großartiger Tag und ich war sehr glücklich. Es war als ob ich eine lange Rede vor tausenden von Menschen vorgetragen hätte! Es ging von einem Buchstaben zum anderen, von 'A', 'O', 'I' usw bis August 2004.


Mit der Logopädie habe ich gelernt die Muskeln in meinem Kehlkopf zu kräftigen. Obwohl heute viele Menschen meine Aussprache nicht richtig verstehen, kann ich im Nachhinein kaum glauben, dass ich überhaupt sprechen kann. Es wurde anschließend eine Schluckdiagnostik in Bremen-Ost gemacht. Vor 2019 war aber meine Spastik nicht so stark wie jetzt, deswegen kann ich heute während des Sprechens oder auch wenn ich gerade nicht spreche, meinen Speichelfluss nicht kontrollieren. Meine Spastik beeinflusst mein Sprechen sehr. Jedoch, haben viele Menschen, die mit mir arbeiten und um mich herum sind, Verständnis dafür und ich habe auch viel Geduld beim Nachfragen, es ist ja genauso wie einer Katze das Bellen beizubringen.


Im August 2004 habe ich langsam angefangen zu Essen. Während meines Wachkomas und nach meinem Erwachen wurde ich für ca. ein Jahr durch eine PEG (Perkutane endoskopische Gastrostomie- es ist ein langes und komplexes Wort. Hätte auch nie gedacht, dass es ein großer Teil meines Lebens werden würde.)


Außer dieser PEG, hatte ich bis Frühling 2005 eine Tracheal Kanüle um mir meine Atmung zu ermöglichen. Im Jahr 2004 wurde täglich überprüft, ob ich selbständig atmen kann. Nachdem die Kanüle entfernt wurde, habe ich angefangen das selbständige Essen zu üben.


Ich hatte bis August 2004 durch die PEG meine Sondennahrung erhalten. Danach habe ich angefangen zu essen. Meine einzige Essenswahl bestand aus Babynahrungsmittel. Für ca. 1 Jahr habe ich mich mit Babybrei ernährt. Natürlich würde man denken, dass ich während der Babybrei Phase das normale Essen, vor allem als Landwirt doll vermisst hätte. Selbstverständlich habe ich nicht nur das normale Essen vermisst, sondern meinen ganzen Lebensstil vor meinem Schicksalsschlag vermisst. In dieser Phase hatte ich mich gefreut, dass ich überhaupt 'schlucken' konnte.


Für mich haben die kleinsten und geringsten Fortschritte während meiner Heilungsphase eine großartige Bedeutung gehabt.


Im Winter 2005 bin ich meine Tracheale Kanüle los geworden. Und was glaubt ihr, wie ich diesen Tag gefeiert habe? :-)

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Mit einem netten Stück Butterkuchen!


Der Butterkuchen wurde mit etwas Milch eingeweicht und mir von den Pflegefachkräften angereicht. Ich muss aber sagen, dass meine Geschmackswahrnehmung bis heute eingeschränkt ist. Obwohl der Butterkuchen damals für mich eine große Bedeutung hatte, in meinem Mund schmeckte es nach nichts. Nichtdestotrotz hat das Stück Butterkuchen an dem Tag mein ganzes Leben umgekrempelt!


Ich war damals ein starker Raucher. Auch mit der Tracheal Kanüle habe ich es geschafft diese schlechte Gewohnheit beizubehalten. Nachdem die Kanüle entfernt wurde, habe ich sofort aufgehört zu rauchen und habe es mir vorgenommen mein Gewicht zu reduzieren und fitter zu werden, denn ich wollte unbedingt auf meinen eigenen Beinen stehen.


Man könnte sagen, dass diese OP mir eine neue Perspektive für mein Leben geschenkt hat. Irgendwie fühlte ich mich befreit und habe meinen starken Lebensmut entdeckt! Da habe ich festgestellt, dass ich mein altes Leben nicht wieder bekommen werde und habe es akzeptiert, dass ich ein zweites Leben geschenkt bekommen habe.


Mein Leben war ab dem Punkt für mich in meinen eigenen Händen und ich hatte die Motivation um für konstante positive Entwicklungen zu erreichen.


Ich habe angefangen mein Gewicht zu reduzieren, da ich damals zu schwer war, um selbstständig aufstehen zu können. Meine Beine konnten mein Gewicht nicht halten. Ich habe damals fast 100 Kg gewogen und konnte durch Sport und Training 35 Kilo abnehmen. Diese erheblichen Erfolge in meinem Leben konnte ich nur durch reine Disziplin und Beharrlichkeit schaffen. Ich muss ehrlich sagen, auf der Waage fühlte ich mich wie ein Gerippe aus Haut und Knochen, aber ich war trotzdem stolz auf diese Leistungserfolg. Heute bin ich nicht untergewichtig, sondern bin sehr fit und habe viel Kraft, weil ich mich aktuell ausgewogen ernähre und meine Ernährung mit regelmäßigen Sport verbinde.



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Am 26 September 2005 habe ich angefangen das Neurologische Rehabilitationszentrum Bremen Friedehorst zu besuchen. Während meines Einstiegs in der Reha, habe ich ganz viel Energie rein gesteckt. Mit dem Laufen ging es aber trotzdem nicht so wie ich es mir erhofft hatte, denn ich mit starker Spastik zu kämpfen hatte. Nach einem halben Jahr, fühlte ich mich ausgebrannt und leer. Ich konnte keine Fortschritte mehr machen, dennoch habe ich mich davon nicht entmutigen lassen und ab dem nächsten Tag sofort weiter gemacht.


Ich habe mich in dem Zimmer, in dem ich damals gewohnt habe, oftmals kurz zurückgezogen, die Tür zu gemacht und habe angefangen es meine Sprache zu üben. Indem ich lange Wörter auszusprechen versuchte. Wörter wie Schokolade, Fernseher, Philosophie, Krankenhaus sowie meinen eigenen Namen. Ich habe es mir auch zugetraut ein Stift zu nehmen und das Schreiben zu üben.


Aufgrund des Schädelhirntraumas, waren die Fähigkeiten in meinem Gehirn absolut eingeschränkt. Der Existenz von diesen Fähigkeiten und Funktionen habe ich wie jeder andere keine großartige Aufmerksamkeit geschenkt. Vor meinem Schicksal, fühlte sich das Gehirn total gut und einfach normal an.


Beispielsweise, die rechte und linken Seites des Gehirns sind zugeteilt um bestimmte Funktionen zu leisten. Bei mir waren viele von diesen Funktionen eingeschränkt, beispielsweise die Sinne wie Sehen, Hören, Sprechen, bis zur erhöhten emotionalen Wahrnehmung, die ich vor meinem Schicksal nie kannte. Meine Bewegung war gestört, Geschmack war kaum vorhanden, ich hatte kaum Gefühl auf meiner Haut (kompletten linken Körperseite). Ich konnte nicht mehr rechnen und selbst das Zählen fiel mir schwer. Es blieb nur das Wissen über die Buchstaben.


Ich habe mir einen Weg ausgedacht wie ich meinen linken Arm mobilisieren und kräftigen kann. Und zwar im Waschbecken. Ich habe es mit Wasser aufgefüllt und den linken Arm rein gelegt und wieder raus geholt. Diese kleine Übung habe ich täglich jeweils 3-4 mal am Tag durchgeführt. Am ersten Tag spürte ich im linken Arm kaum eine Veränderung . Tag für Tag habe ich mit den Übungen weitergemacht und habe langsam angefangen etwas zu spüren, die Textur vom Wasser, die Wärme davon und einfach wie sich Wasser anfühlt. Es war für mich für eine ganz neue Erfahrung. Ich fühlte mich wie ein kleines Baby, dass das erste mal schwimmen lernt.


Um das Gefühl in den gesamten linken Seite erneut zu aktivieren habe ich die berühmte Spiegel Technik angewendet. Ich muss es ehrlich sagen, dass es mir kaum geholfen hat. Die Erfolgsrate war gering.


Ich habe trotz den Höhen und Tiefen mit den täglichen Routinen (Sport und Therapie) nicht aufgehört. Es gab für mich in diesem Sinne keine Wochenende, selbst als ich als Landwirt gearbeitet habe, gab keine Wochenenden für mich. Also, ich kam schon diszipliniert zu diese größte Herausförderung meines Lebens. Ich hatte es immer in meinem Hinterkopf was mir in dem Wachkoma Zeit passiert ist. Sowas vergisst man nicht so leicht.


Im Herbst 2005, habe ich für das erste mal in meinem Leben Seh-Brille bekommen, weil meine Vision im linken Auge sehr eingeschränkt war. Ich kann bis heute vom linken Auge immer noch nicht so ganz klar sehen.


Das Aufgreifen von schnellen Geschehen in meinem Seh-Umfeld war bei mir sehr verlangsamt und oft sah ich Doppel Bilder. Ich habe diese Herausförderung mit Sehen bis heute und trotzdem überrasche ich mich nachdem ich sicher zu Hause nach eine langen Radtour zurück komme.


Also, die Kombination von Doppel Bilder und Spastik ist nicht so günstig. :-)


Im Jahr 2007 nach dem intensiven Therapie Zeit bin ich endlich in meine eigene Wohnung unterstützt vom Ambulante Unterstützendes Wohnen bei der Lilenthaler Diakonie umgezogen. Gleichseitig bin ich auch in der Reha-Tagestätte bei der Lilienthaler Diakonie angekommen. Diese Reha ist meine täglichen Ort seit den letzten 14 Jahren. Bei dem eigenständigen Umzug und das selbständigen Leben hat mir keiner zugetraut.


Wann ich jetzt daran denke, habe ich fast alles alleine durchgezogen. Ich hatte noch Kontakt mit meine Brüder und Schwester aber meine Frau und ich habe uns im Jahr 2005 getrennt. Ich habe danach auch leider meine Sohn nicht wieder gesehen. Ich wundere mich oft wie es meinen Sohn heute geht, was er so macht, aber ich habe keine Hoffnung dass wir uns wiedersehen werden. Die Umständen um das Leben mit meiner Familie weiter zu führen waren sehr schlecht und ich war in meinen eigenen Kampf um selbständig und gesund zu werden.


In diese Zeit, habe ich endlich angefangen die Fortschritten zu sehen. Das Laufen versuche ich täglich seit 20 Jahren, aber dafür habe ich die Mobilität und Kraft in meine Oberkörper aufgebaut und entwickelt. Der Gipfel von dem gesamten Wachstum war der Vorstellung vom meine Speedy in meinem Leben.



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Ich habe das Speedy im August 2010 bekommen. Normalerweise, ein Kind fällt mehrmals runter als er seine Beine alleine auf dem Fahrrad tret. Ich musst aber nicht mit dem Beinen das Fahrrad fahren lernen sondern mit meine Armen. Das fühlte sich sehr ungewöhnt an und ich wurde ganz schnell erschöpft. Allerdings, die Beharrlichkeit in mir hat es mir ermöglicht heute jeder Menge mit dem Speedy zu fahren. Ihr wird hier lachen aber ich habe meine Motivation etwas vom der berühmte Dieter Bohl inspirierend lassen. Er hat einmal so schön gesagt, 'an einer Sache dran bleiben.


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Meine Beziehung mit meiner Speedy hat sich trotz den Hindernissen am Anfang auf Zeit verbessert und ich liebe es einfach! Durch meinem Speedy konnte und kann ich bis heute enorm viel weiter bringen. Ich fühle mich wie eine freie Mensch mit meinem Fahrrad und mir macht es immer enorm Spaß.



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Die Fortschritten im Bereich der Bewegung hat sich positiv angezeigt, jedoch war mein Sprechen noch nicht so weit. Ich muss sagen, dass seitdem ich das Fahrrad habe, fühlt es sich so an als ob fast alles möglich ist, vom sprechen bis zum Stuhlgang. Ich habe langsam in der Reha angefangen längeren Wörter zu sprechen und eigenständigen Sätze zu bauen. Ich habe angefangen in der Werkstatt in der Reha in kreativen Projekten teilzunehmen, da habe ich Holz geschliffen, Kalender gebastelt, Figuren für das Weihnachtsmarkt gebastelt usw. Ich fühlte mich zum Nutzen langsam und das hat mir motiviert immer weiter zu machen, weil ich konnte mich immer überraschen!




Die Landwirtschaft war meine aller beste Beruf damals und ich bin immer noch Landwirt in meinem Herz und werde so immer sein. Allerdings, heute bin ich meine Hauptberuf. Ich arbeite für mich, an mich und meine Belohnung ist die Erweiterung von meinem Lebensqualität.


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